Die Fragen stellte Stephan Hölzlwimmer, Alt-Neuöttinger Anzeiger

Interview,13.04.2021

1. Herr Heuwieser, die Zahlen des Haushaltes 2021 unterscheiden sich nicht grundlegend von denen der Jahre davor. Bisher haben die Freien Wähler das Zahlenwerk stets mitgetragen, dieses Mal nicht. Die Fraktion hat geschlossen dagegen gestimmt. Warum?

Auch in den vergangenen Jahren haben die Freien Wähler wiederholt die hohe Verschuldung des Haushalts bei sehr dürftigen Rücklagen angemahnt und auf unnötige Ausgaben hingewiesen. Die Ablehnung erfolgte, weil kaum Maßnahmen erkennbar sind, diese Schuldenlast abzutragen. Ausschlaggebend war v.a. der angedachte Umbau des Eingangsbereichs des Rathauses (geplante Kosten: fast eine halbe Million Euro), der nicht auf das Wesentliche (behindertenfreundlicher Zugang und Bürgerbüro) beschränkt wird. Es soll der Windfang entfernt und die wertvolle Granittreppe mit dem entsprechenden Boden herausgerissen und durch eine Holztreppe ersetzt werden. Ich habe das in der Haushaltsrede als ökonomische und ökologische (Tod-)Sünde bezeichnet. Ein zukunftsfähiger Haushalt soll Investitionen berücksichtigen, die im Sinne einer Klimawende unsere Energieversorgung, Mobilität und sozialen Wohnungsbau berücksichtigen und er sollte v.a. von Anfang an öffentlich beraten werden. Die Haushaltsrede ist unter fw-aoe.de nachzulesen.

2. In der Sitzung, in der Sie den Haushalt abgelehnt haben, haben Sie sich auch dafür stark gemacht, in nächster Zeit einen externen Mediator einzuladen, um im Stadtrat wieder auf ein gemeinsames Gleis zu kommen. Ist es in Ihren Augen tatsächlich so schlecht um die Zusammenarbeit bestellt, dass so etwas nötig ist?

Der Bogen wurde von Anfang an überspannt. Es begann mit einer sehr un’freund‘lichen Wegnahme des 3. Bürgermeisters von den Freien Wählern (zweitstärkste Fraktion), setzte sich fort mit der Bildung einer „großen Koalition CSU/SPD“, die mit ihren nun 14 Stadträten 10 öffentlichkeitswirksame Referate und 2 weitere Bürgermeister bekamen, obwohl die Freien Wähler über 70 % mehr Stimmen als die SPD hatten. Die hat mit nur 3 Stadträten 2 Referate und auch noch den 3.BGM! Den 10 restlichen Stadträten bleiben ganze 2 Referate. Hier sieht man sehr deutlich, dass eine absolute Mehrheit in einem Kommunalparlament keine gute Lösung ist. Und dann kam noch – nicht einmal ein Jahr nach der Wahl – der Wechsel von Rosi Hermann von den Freien Wählern zur CSU hinzu. Diese Konstellation und das Bewusstsein, ihren Willen als absolute Mehrheit durchzusetzen, wird die derzeit schlecht bestellte, fraktionsübergreifende Zusammenarbeit eher erschweren. Deshalb steht unser Antrag und wir hoffen sehr auf ein klärendes Gespräch, geführt durch einen externen Mediator, um aufgestaute Missstimmungen zu beseitigen und zu einer Arbeit zurückzukommen, in der auch unterschiedliche Meinungen ohne Vorwürfe ergebnisoffen diskutiert werden können.

3. Die Konstellation im neuen Stadtrat unterscheidet sich doch deutlich im Vergleich zu früher. Statt vier sind nun mit dem Einzug der „Liste“ und der ÖDP sechs Kräfte im Plenum vertreten. Die Freien Wähler haben an Gewicht verloren. Ist es schwieriger geworden, die Ziele zu vertreten?

Schwieriger ja, siehe Thema „Absolute Mehrheiten“. Uns kommt es aber nicht auf Personen an, sondern auf Themen und deren kluge Umsetzung. Ich persönlich sehe sogar eine Stärkung unserer Positionen: Martin Antwerpen bringt zusätzlich ökologische Themen und die Mitglieder der „Liste“ grundsätzliche, kritische und junge Themen in die politische Diskussion ein. Gestärkt und befruchtend können wir fraktionsübergreifend unsere Vorstellungen von für die Stadt wichtigen Bereichen durch Austausch von Ideen umsetzen und gemeinsam unsere Ziele verfolgen. Der Stadtrat hat also durch die neue Buntheit eindeutig dazugewonnen!

4. Transparenz ist ein Thema, für das Sie sich immer stark gemacht haben. Wie ist es in Ihren Augen darum bestellt?

Transparenz war jahrzehntelang und ist auch leider heute noch ein Stiefkind. Und da sind wir erst am Anfang einer hoffentlich sich schnell entwickelnden Lernkurve. Wenn wir darauf verzichten, die Bevölkerung bei den wichtigen anstehenden Zukunftsfragen durch eine vorwärts gerichtete Kommunikation mitzunehmen, werden wir in vielen Punkten scheitern. Laut Gemeindeordnung gehören Stadtratssitzungen grundsätzlich öffentlich abgehalten, bei Bedarf kann jederzeit „Nichtöffentlichkeit“ hergestellt werden.

Selbst die Einführung eines Ratsinformationssystems, welches den politischen Mandatsträgern die benötigten Informationen für die politische Arbeit zur Verfügung stellt, dauert beispielsweise schon über ein Jahr, andere Gemeinden wie Winhöring haben das in wenigen Wochen umgesetzt. Nur ein Beispiel für zu geringe Öffentlichkeit: der heurige Haushalt wurde zum ersten Mal öffentlich behandelt, als das gedruckte Werk mit 400 Seiten schon fix und fertig vorlag.

5. Sie können ja einige Erfolge vorweisen, zum Beispiel zu Hinzuziehung von externen Beratern bei der Aufstellung von Bebauungsplänen, die Sie immer wieder forciert haben. Gibt es andere Themen, bei denen Sie eine dezidiert eigene Linie fahren?

Wir können kraft der Mehrheitsverhältnisse keine eigene Linie fahren. Wir können nur nachdenken, wichtige Ziele formulieren, sie beantragen und sie in den Prozess der Meinungsbildung einbringen, um letztendlich notwendige Weichenstellungen gemeinsam zu veranlassen. Wenn überhaupt, würden wir unsere Linien den klimapolitischen Zielen, wie in der Enzyklika „Laudato si“ beschrieben, der Energie, der Transparenz, der Wohnqualität und Durchgrünung der Innenstadt sowie dem Schuldenabbau unterordnen. Aber auch so konkrete Dinge wie das Chaos innere Bahnhofstraße wollen wir angehen.

6. Welche Themen sehen Sie als die wichtigsten für die kommenden Jahre an? Welche Akzente wollen Sie dabei setzen?

Zur Findung der wichtigsten Themen der kommenden Jahre gehören Überlegungen, wo wir in  10, 20 und 30 Jahren stehen wollen. Und das unter Hinzuziehung der klimatischen Herausforderungen, der demografischen Entwicklung, der sozialen, gesundheitlichen und (vor-)schulischen Versorgung. Ist der erhebliche finanzielle Aufwand in Förderung von Wallfahrt, Tourismus und Kultur noch zeitgemäß oder lassen sich die Gelder nicht effizienter in eine Aufenthaltsqualität für die Bürger unserer Stadt einsetzen? Welche Angebote können wir beispielsweise den Wallfahrern machen, um sich länger in Altötting aufhalten zu wollen? Dazu kommen Themen wie Mobilität und Digitalisierung, Gestaltung der städtischen Räume, insbesondere der Wohnraumangebote sowie konsequenter Abbau der Verschuldung.  Auch ein aktives Pandemie-Management auf städtischer Ebene sollte umgesetzt werden. Für uns ganz wichtig: Bei den nächsten Wahlen wollen wir durch verstärkte Öffentlichkeitsarbeit endlich wieder einmal eine Wahlbeteiligung über 50 % erreichen.

7. Über die normalen Aufgaben hinaus: Haben die Freien Wähler große Visionen, wie sich Altötting entwickeln soll?

AÖ soll eine Stadt werden, in der sich v.a. die Bürgerinnen und Bürger wohlfühlen können, mit genügend Kindergärten und modernen Schulen, und das bei einem moderaten Wachstum. Ein Paradigmenwechsel im klimapolitischen Sinne wäre dringend nötig und sollte die Umstellung der Stadt auf möglichst 100% erneuerbarer Energie beinhalten, beispielgebend PV auf allen geeigneten Dächern der Stadt, Ausbau des Fernwärmenetzes uvm. 

Wichtig wäre eine qualitative Aufwertung der innerstädtischen Wohnbedingungen durch Reduktion von Lärm und Abgasen, auch von den überörtlichen Straßen und der Bahn, eine verkehrsberuhigte Innenstadt bei gleichzeitiger Förderung von Rad- und Fußwegen, ÖPNV-Angeboten, Sanierungskonzepte für älteren Wohnbestand etc.

In allen Überlegungen sollten auch die Chancen gesehen werden, die eine vielschichtige Zusammenarbeit mit Neuötting bringen kann. Zwei faktisch zusammengewachsene Kleinstädte sollten gewinnbringend ihre Vorstellungen zum ÖPNV, zu Verkehrsachsen, Wohnraum, Energie- und Wasserversorgung, Angeboten der Wirtschaft und Kultur in regelmäßigen Treffen formulieren. Und es sollte auch mehr Druck aufgebaut werden, um unsere Heimatstadt zeitnah hochwasserfrei zu bekommen.

8. Und wo gilt es Ihrer Ansicht nach gegenzusteuern?

Wir sind gegen die ungezügelte Zunahme der Verschuldung (s. überflüssigen Rathauseingang-Umbau), gegen den Abriss noch weiterer ortsbildprägender Gebäude, gegen eine Baupolitik, in der Bauträger und Projektentwickler das Sagen haben, gegen die bestehende Verkehrssituation v.a. in der inneren Bahnhofstraße, gegen ein vom Bürgermeister und der Verwaltung redigiertes Stadtblatt. Dieses sollte in gewissen Abständen die Meinung aller Fraktionen zu wichtigen, auch kontrovers diskutierten Themen enthalten, damit sich die Bürgerinnen und Bürger eine eigene Meinung bilden können. 

Über den Autor: Toni Dingl

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert